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Runde Ecke - Ausgabe #29

Liebe Fußballliteraten,

es wurden Hunderte von Büchern über Fußball geschrieben und Milliarden von Liebhabern auf dieser Erde verfolgen den Fußballsport. Aber gibt es tatsächlich Fußballliteraten? Auf jeden Fall gibt anscheinend nur wenige Fußballspieler, die erwiesenermaßen lesen, selbst Nachrichten. Pellegrino Matarazzo hatte am Freitag seine Mannschaft nochmals extra zusammengerufen, um sie darauf einzuschwören, dass sie sich nicht durch das öffentlich ausgetragene Hickhack in der Vereinsspitze beeinflussen lassen sollten. Nach der Zusammenkunft war er mehr als überrascht, dass einige Spieler davon noch nichts mitbekommen hatten.


Ein Literat ist – im Unterschied zum Poeten, Dichter oder Autor – ein intellektueller, in einer Schriftstellerszene verkehrender Schriftsteller. Die Bezeichnung wird seitdem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert verwendet. Es handelt sich einerseits um eine positive oder auch elitäre Kategorie, da der Literat „sich von keinen anderen Rücksichten leiten lässt als der Abhängigkeit von der Literatur“. Das Wort bezeichnet insofern „den Liebhaber und seinen reinen Genuss an der Literatur.“ Andererseits ist der Literat in einem egalitären Aktionsradius unter Kritikern, Akademikern, Journalisten, kurz: Berufskollegen situiert.


Stellt euch vor, sogenannte Literaten würden wirklich Fußball spielen können? Man könnte darüber fast ins Grübeln kommen - wie könnte so eine Literaten-Mannschaft aussehen? Wie wäre es mit einer zeitlosen Weltauswahl, die von Bukowski als Kapitän aufs Feld geführt würde? Ob der nun als Literat durchgeht, wäre die erste große Frage. Und ob er in einer körperlichen Verfassung wäre, die Sport erlaube, die Zweite. Der Platz im Tor wäre für ihn wohl am angebrachtesten. Davor das internationale Quartett aus McEwan, Kundera, Becket und Suter. Im Mittelfeld könnte ich mir episch französisch-russische Schwerlast vorstellen, die den Ball vermutlich wunderbar zirkulieren lassen würde. Rechts Balzac, in der Mitte Dostojewskij und Tolstoi und links Dumas (der Ältere). Vorne im Sturm wäre eine deutschsprachige Kombination der Bringer. Zweig mehr als hängende Spitze und Lenz als literarischer Vollstrecker. Bei so viel klasse müsste ein ansehnliches Spiel rauskommen. Ein Literat aus den Reihen der bekannteren Fußballautoren wäre für mich allerhöchstens auf der Ersatzbank zu finden. Aber schaut selbst und macht euch ein Bild:

Literatur - Deutsche Akademie für Fußball-Kultur

Literatur - Deutsche Akademie für Fußball-Kultur

In der Nürnberger Stadtbibliothek gibt es eine Abteilung für Fußball-Literatur - ein Gemeinschaftsprojekt der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur, dem BildungsCampus Nürnberg und dem 1. FC Nürnberg.

Schiller und Böll im Angriff – Deutsche Literaten am Ball

Literarische Auszeit

Eine Auszeit nimmt sich aktuell die TSG Hoffenheim. Wahrscheinlich auch basierend auf der Verletztenmisere. Nach dem Aus im Pokal gegen clevere Kleeblätter aus Fürth folgte nun die nächste Niederlage. Wer das Heimspiel der 99iger gegen die Bayern noch in Erinnerung hat, sieht durchaus eklatante Unterschiede zur aktuellen Verfassung. Gleiches gilt für Bremen – schwuppdiwupp waren alle guten Vorsätze für das neue Jahr dahin. Ihr Trainer, der recht offen mit seinen Emotionen umzugehen vermag, monierte noch die Trainingseinstellung in den letzten Tagen, war aber durchaus siegessicher. Schlussendlich kam es sogar so weit, dass aus der Berliner Entourage gekonnte Nachäffungen auf Kohfeldt‘s Reklamier-Attacken gefahren wurden. Da benötigt womöglich der Trainer bald eine Auszeit?


Keine Auszeit im neuen Jahr nahm sich André. Eine gekonnte Tippattacke über Stationen wie Freiburg, Gladbach, Berlin-West, Berlin-Ost, Leipzig, Dortmund und München brachten ihm 20 Tipppunkte ein. Dies und Jonas klassischer Konter veränderte das Tableau gehörig. Das Duo Lars & Raphael musste weichen. Dabei sitzt André dem Leader der traurigen Art (nur ein Spieltag in Führung bis dato) gehörig im Nacken. Nachahmungen sind höchst gerne erbeten. Siggi dagegen machte seine angedachte strategische Reform ein weiteres Stückchen mehr zur Wirklichkeit (10 Punkte). Nun ist es nur noch ein Zähler auf den einstelligen Tabellenplatz.

Die Reklamier-Hand des „heiligen“ Florian – immer eine Nachahmung wert

Das Literarische Quartett

Das einzige Fußballfanbuch, was wahrscheinlich beim eingangs erwähnten Quartett keinen Verriss erlebt hätte, ist der bald 30 Jahre alte Klassiker „Fever Pitch“ (Ballfieber). Hier geht es um das Dasein eines Arsenal London Supporters. Das Buch ist in Tagebuchformat verfasst und dokumentiert sein Leben als „mitleidender“ Fußballfan. Leiden muss man zurzeit u. a. bekanntlich auch als Mainz-Anhänger. 2 Tore, zusätzlich einmal Pfosten und einmal Latte – sehr starke erste Halbzeit in der Allianz-Arena. Und trotzdem verloren.


Das oftmals literarisch aufgearbeitete Leiden gehört daher fasst routinemäßig zum Fußball. In der Vorschau auf dieses Wochenende haben wir u. a. eine interessante Quartettbildung zu vermelden. Mönchengladbach empfängt die regelmäßigen „Comebacker“ aus München (8-mal schon einen Rückstand aufgeholt) und Leipzig die Dortmunder. Das müsste jeweils eine gute Grundlage für hochklassigen Fußball sein. Schalke dagegen tritt zum Ent(d)scheidungsspiel an. Sollte auch gegen Hoffenheim verloren werden, dann ist Tasmania Berlin seinen Uraltrekord aus dem Jahr 1965 los – Schalke würde mit dem heutigen Oberligisten (faktischer Nachfolgeverein – Tasmania wurde 1973 off. aufgelöst) gleichziehen und 31-mal in Folge sieglos sein. Gruselig, aber literarisch erwähnenswert.


So etwas wäre Paul Breitner wahrscheinlich nicht passiert. Zusätzlich ist er eher als ein Möchtegernliterat der besonderen Art aufgefallen. Er schmückte sich gerne mit kommunistischen Büchern und tat alles, um das Image des „linkslastigen Fußballers“ zu schüren. Unter anderem posierte er medienwirksam mit einer Mao-Bibel und erklärte, ein Verehrer Che Guevaras zu sein. Selbst auf dem Spielfeld kam er zunächst über links. Als gelernter Stürmer war seine erste Position bei Bayern München die des linken Außenverteidigers. Die große Frage, die man sich aber stellen kann, ist, ob er jemals wirklich u. a. die o. g. Bibel gelesen hatte. Wahrscheinlich war ihm wichtiger, in bestimmten Kreisen als „Intellektueller“ zu gelten.


Euch ein lesereiches und beschwerdefreies Wochenende!


Euer Nick Charles Paul Hornby

Paul Breitner und die Peking-Rundschau: Viel wichtiger – Hammer die Tapeten, ich vermisse solche Wandhinkucker!