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Runde Ecke - Ausgabe #30

Liebe Fußballmelancholiker,

der SC Freiburg hat aktuell einen Lauf. Gegen schwache und wenig ausbalancierte Kölner konnten die Breisgauer bereits den 5. Sieg in Folge einfahren. Gleichzeitig haben sie bis dato 28 Tore erzielt, mehr als Leipzig oder Wolfsburg und gleichviele wie die Borussia aus Mönchengladbach. Dies war nicht immer so. Anfang des letzten Jahrzehnts kämpfte Freiburg wieder einmal gegen den Abstieg. Zum Ende der Saison schien ihnen die Luft auszugehen. Damals philosophierte die Fachpresse übergreifend über die Melancholiker aus der Stadt mit den meisten Sonnentagen in Deutschland: „Ob der Klub mit der traurigen Offensiv-Vergangenheit den Abstieg noch verhindern kann, ist mehr als fraglich“.


Als Melancholiker (von lateinisch melancolicus, „schwarzgallig, melancholisch“, von altgriechisch μέλας Ablas, deutsch ‚schwarz‘ und χολή Ahold, ‚Galle‘) wird in der heutigen Umgangssprache ein zu Melancholie, also Schwermut, Trübsinn und Traurigkeit, aber auch zu Misstrauen und Kritik neigender Mensch bezeichnet. Er bildet mit dem Choleriker, Phlegmatiker und Sanguiniker die inzwischen als überholt geltenden vier Temperamente, die auf der Humoralpathologie beruhen. Beim Melancholiker überwiegt dementsprechend in der Mischung der vier Körpersäfte (Blut, Gelbe Galle, Schwarze Galle und Schleim) die Schwarze Galle.


Das Image des Freiburger SC als melancholischer Verein wurde in den 90er-Jahren geprägt. Es war die Geburtsstunde der Breisgau-Brasilianer. Aber es war eben auch ein Sammelbecken von Strafraum-Melancholikern (spiegel-online). Dabei hatte Uwe Spiess einen nicht beachtlichen Anteil daran. Er war ein passabler Offensivmann und brachte es auf 52 Tore in 189 Spielen für den Sportclub. Aber irgendwie empfanden die Fans und Journalisten immer auch etwas Trauriges an seiner Herangehensweise im Strafraum. So erhielt er den Beinamen „Strafraum-Melancholiker“. Auch andere erfolgreiche Größen dieser Zeit trugen zu dieser Imagebildung bei. Man erinnere sich dabei an Spieler wie den heutigen Buchautor Alain Sutter („Stressfrei glücklich sein“) oder ehemaligen Videothekenbesitzer Harry Deceiver, dem zu seinem Abschied u. a. als „Knipser“ mangelnde defensive Arbeit vorgeworfen wurde (nach dem wiederholten Abstieg des Clubs). Ob dies nun rein einer möglichen Melancholie geschuldet war, bleibt hier eine offene Frage.

Man muss sich schon erst mal den Beinamen verdienen: Uwe Spiess, der „Strafraum-Melancholiker“

Blaue Melancholie

Ganz Schalke wäre wahrscheinlich der Melancholie verfallen, wäre es nicht zum ersten Sieg nach 30 Spielen gekommen. 4 Tore, drei davon von einem Stürmer, der bis dato nur einmal in der Regionalliga West in 16 Spielen getroffen hatte. Nun spricht man in Gelsenkirchen direkt wieder vom Nichtabstieg – wie immer halt. In Berlin-Neukölln ist man anscheinend irgendwie froh, dass dieser Rekord, wie auch immer er zu betrachten ist, in der Hauptstadt bleibt. Bei der blauen Gegenseite dagegen könnte so langsam aber sicher eine Art Melancholie entstehen. Es war eine desaströse Vorstellung der Hoffenheimer. Irgendwie ist es an der Zeit, hier einmal die Situation zu analysieren und zu hinterfragen.


Nichts zu hinterfragen und auch keine Gefahr, irgendwie in Melancholie zu verfallen, gibt es in unserer Tipprunde. Raphael konnte eine Seilschaft mit Jonas aufmachen und ist nun nach erfolgreicher Kletteraktivität punktgenau mit ihm verbunden. Reformkönig Siggi startete durch und konnte gleich zwei Plätze gutmachen. Einstelligkeit ist Trumpf – sein Change-Motto! Unser Spieltagabräumer war dieses Mal Bernd. 12 Punkte und damit der erste Sieg nach 15 Spieltagen. Somit hat er sogar Schnäppchen und Siggi etwas voraus, auch wenn er trotz seiner Glücksgriffe immer noch auf dem letzten Platz verweilen muss. Ggf. kommt ihm aber unser digitaler König mit topaktueller Covidfrisur und 1&1-Fan bald zu Hilfe. 3 Punkte aus 9 Partien erinnern mich gerade stark an die vergangene Saison.

Matthew Hoppe - 3 Tore und am Ende „California Dreaming” aus den Stadionlautsprechern der Veltins-Arena

Melancholische Vorfreude

Ein wenig Melancholie kommt immer auf, wenn man an frühere Duelle von bestimmten Mannschaften denkt. Zum Beispiel empfing Freiburg am 9. März 1996 die Bayern und siegte auch durch 2 Treffer des o. g. Harry Decheiver jeweils auf Vorlage von Alain Sutter. Nach der Niederlage gestern im Pokal der Bayern könnte ein Unentschieden für die Breisgauer drin sein. Oder die Erinnerung an das „Magische Dreieck“ aus Bad Cannstatt. Der VFB spielte am 23. September 1995 daheim gegen Borussia Mönchengladbach. 5:0 lautete das Endergebnis. 2 x Bobic, 1 x Balakov und natürlich 2 x Elber hießen die Torschützen. Ein Jahr später wiederholte sich das Ganze sogar. Im Oktober schoss Bobic 3 Tore sowie Balakov und Elber je eines. Das waren noch Zeiten! Da muss es jedem VFB-Fan warm ums Herz werden. Aber Achtung, es ist ein Heimspiel für die Stuttgarter. Daheim sieht die Bilanz heuer für die Männer mit dem Brustring nicht so gut aus (aktuelle Heimtabelle: VfB Stuttgart auf Platz 16).


Für eine herausragende Persönlichkeit aus Spanien dagegen sah es vor allem als Trainer oftmals sehr gut aus. Vicente del Bosque wird auch gerne der „Melancholiker mit dem Schnauzbart“ genannt. Verfolgt man seine Karrierestationen und beschäftigt sich mit der Persönlichkeit des Mannes aus Kastilien, dann ist die oben gewählte Bezeichnung sehr zutreffend. Der heute 70-Jährige ist sehr geprägt durch seinen Vater, der als Widerstandskämpfer gegen das Franco-Regime gekämpft hatte. Ebenfalls war er als Jugend- und Lizenzspieler bei Real Madrid nicht die herausragende und schillerndste Figur, aber ohne den schüchternen Mittelfeldspieler hätte zu seiner Zeit das „Weiße Ballett“ nicht die Erfolge feiern können. Einer seiner Mitspieler damals war u.a. Günther Netzer. Im Gegensatz zu ihm ist Del Bosque kein Freund großer Worte und hat trotz dessen Spanien zum Welt- und nochmaligen Europameister (Titelverteidigung) geführt.

Am besten beschreibt den Mann mit dem traurigen Blick, wenn man nachfragt, wo er sich am liebsten aufhält. Die Antwort ist einfach: Daheim in Salamanca auf der Plaza Major, einem der schönsten Plätze Spaniens, verbringt er am liebsten seine Zeit mit Freunden aus den Schul- und Jugendtagen. Sitzt dort sehr gerne im Café und hört lieber zu, als das Wort zu ergreifen. Auch für ihn gilt, die Melancholie ist das wesentliche Gemütsmerkmal des kreativen Geistes. Und Freigeister brauchen wir im Fußball, an die wir uns melancholisch erinnern können.


Euch ein freigeistiges und kreatives Wochenende!


Euer Juan Roman Riquelme

Vicente del Bosque: In der Ruhe liegt die Kraft und Gelassenheit. Vielleicht der nächste Titel für ein Buch von Alain Sutter