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Runde Ecke - Ausgabe #43

Liebe Fußballstrategen,

ein 4-3-3 gegen ein 4-2-2-2, oder doch lieber ein 5-3-1. Fußballtaktik und damit auch -strategie, kann theoretisch vielschichtig sein. Man kann auch in einem 7-2-1 spielen, wenn es sein muss. Union spielte in München natürlich nicht in dieser seltenen Aufstellung, machte aber einen guten Job und verteidigten ihr Tor recht clever bis zur 68. Minute. Schlussendlich konnten sie sogar noch ausgleichen und einen Punkt stibitzen. In Frankfurt spielten beide Mannschaften mit sog. offenen Visier. Raus kam dabei ein unterhaltsames 4:3 mit 7 verschiedenen Torschützen. Was für eine einfache Spielstrategie!


Einfach gesagt ist ein Stratege, jemand, der nach einer bestimmten Strategie, strategisch vorgeht. Die Bezeichnung Stratege ist aus dem griechischen Wort Strategos (altgriechisch στρατηγός stratēgós, Plural στρατηγοί stratēgoí, deutsch auch Strategen) abgeleitet. Es ist die antike Bezeichnung für ein militärisches Amt im griechischen Sprachraum mit der deutschen Bedeutung „Heerführer“.


Xavi Hernández, ehemaliger Spieler des FC Barcelona, unterschied sich von vielen anderen vor allem darin, dass er vor dem Empfang eines Passes bereits wusste, welche Aktion als Nächstes folgen sollte. Grundlage für dieses Vorausdenken war seine Begabung in der Vororientierung. Dies nennt man auch überlegene Spielintelligenz. Dabei strahlte Xavis Spiel eine einmalige Schönheit aus. Es waren nicht die Tore, Dribblings und spektakulären Aktionen: Xavis Schönheit zeigte sich vielmehr in der Reduktion des Körpers bei gleichzeitiger Erhöhung des Geistes. Dabei war Xavis Spiel seiner Physiognomie geschuldet. Abgesehen von der stets makellosen Gelfrisur (ein Xavi köpfte nur in Ausnahmefällen), entsprach er allem anderen als dem gängigen Ideal: Gerade einmal 1,70 Meter groß, bescheiden und wenn nicht sogar oftmals ein wenig schüchtern. Den Kopf mit den traurigen Augen immer etwas nach vorne geneigt, wirkte er in seinen Bewegungen seit jeher etwas ungelenk, ja fast tollpatschig.


Dieser Tollpatschigkeit zum Trotz, seine Erfolge und Titel sprechen Bände. Nur einmal musste er eine bittere Niederlage einstecken, was auch einer Art Wendepunkt in seiner Karriere gleichkam. 2012 kam Xavis Barcelona das erste Mal an seine Grenze und damit auch der Stratege in ihm. Damals fand der FC Chelsea ein Rezept, das Labyrinth der ewigen Passstafetten zu zerstören. Im Halbfinale der Champions League überließen die Engländer dem Titelverteidiger Barcelona beinahe das gesamte Feld. Der Ballbesitz betrug bis zu 80 Prozent. Xavi, Iniesta und die anderen konnten sich den Ball zuschieben, wie sie wollten. Nur direkt vors Tor kamen sie nicht. Am Ende siegten die Engländer und damit Kraft über Schönheit. So wie es eigentlich normal ist in diesem kämpferischen Sport.


Schlussendlich ging Xavi als einer der größten Strategen auf dem Platz in die Fußballgeschichte ein und wurde für viele junge Spieler zum Vorbild. Im berüchtigten Jahr 2012, in welchem er nichtsdestotrotz mit Spanien den EM-Titel verteidigen konnte, erläuterte er, „seine Art zu spielen sei ein Überlebensinstinkt". Messi oder Cristiano Ronaldo spielten Hochgeschwindigkeitsfußball. "Sie spielen alles mit 200 km/h", er dagegen müsse aufgrund seiner Statur und fehlenden Schnelligkeit "im Kopf mit 200 km/h" auf dem Feld handeln.

Hohe Drehzahl im Kopf und Dirigent des Orchesters auf dem Platz

Strategen auf dem Platz

Klassische Mittelfeldstrategen mit der berühmten 10 auf dem Rücken gibt es nicht mehr (so oft). In der Liga könnte man Josuah Kimmich nennen, der ähnlich wie sein Idol Xavi ein Spiel dirigieren kann. Aber eben nicht die 10 sondern wie sein Vorbild die Nummer 6 trägt. Ein weiterer interessanter Mittelfeldmotor ist aber auch Wataru Endo vom VfB Stuttgart. Seine Passquote ist vergleichbare mit anderen Topspielern und er hatte ein / zwei…. gute Pässe drauf gegen den BVB. Leider hat es nicht zu einem Unentschieden oder Sieg gereicht. Jungspund Ansgar aus dem Dortmunder Nachwuchs hatte was dagegen und verdarb dem VfB die Suppe. Eine Flanke von Sosa auf den Kopf von Kalajdzic sowie einem blitzsauberen Konter, abgeschlossen durch den eingewechselten Didavi, waren für den Schwabenexpress dieses Mal zu wenig.


Im Express-Format wiederum hat sich Jonas auf Platz drei gehievt. Letzte Woche noch angezählt und Siggi zum „Fraß“ angeboten, hat er dieses Mal kurzerhand die Handbremse gezogen und einen astreinen Turnaround hingelegt. 3 Plätze nach oben, auf Platz 3 erst zum Stehen gekommen und dabei 19 Punkte eingesammelt. Da steckte wahrscheinliche eine Portion Glücksstrategie dahinter. Unter Umständen ausgeklügelt mit den eingefleischten VfB Anhängern aus der Nachbarschaft. Ähnliches muss Michael wöchentlich arrangieren. Ganze Heerscharen an professionellen Beratern stehen ihm sicherlich zur Verfügung. Anders kann man sich seinen Erfolg nicht erklären. Wie soll ein aktuell beschäftigungsloser Fußballjugendtrainer auch Ahnung vom Bundesligafußball haben? Bleibt noch unser Schlusslicht Bernd zu erwähnen. Aus 9 Partien gerade einmal 2 Punkte zu ergattern schreit förmlich nach einem Strategiewechsel.

Spielzug mit Tradition – Kalajdzic's 2 Meter sind im Übrigen 30 cm über dem Xavi-Niveau

Die Neuerfindung des Fußballs

Da waren es nur noch 6 (Spieltage)! 6-mal Spannung, 6-mal die Möglichkeit für die Trainer sich etwas Neues einfallen zu lassen in punkto Aufstellung oder Taktik. Taktikfüchse aufgepasst! Die Neuerfindung der fußballstrategischen Taktik gab es in den letzten Jahren aber eher weniger. Pressing und Gegen-Pressing sind neuere Begrifflichkeiten, die man auch mit Arbeiten gegen den Ball übersetzen könnte. Neu ist höchstens, welch Neuerfindung, dass sich bei Freistößen ein Spieler hinter der Mauer schlafen legt. Mittlerweiler mit dem Rücken zur Mauer, am Anfang kniete sich der Spieler oder legte sich flach auf den Bauch. Genial, oder! Und wer hats erfunden: Nein, nicht Ricola, sondern JK (alias Jürgen Klopp). Der erste Versuch in diese Richtung zeigte Coutinho, damals noch in Diensten des LFC, im Jahr 2017 gegen die Hotspurs aus London, in knieender Form.


Am Freitag, im sog. „Eröffnungsspiel“ zwischen Leipzig und Hoffenheim, treffen zwei recht junge Trainer aufeinander, die sicherlich all die Anglizismen, die man heute gerne im Fußball verwendet, perfekt beherrschen. Den Fußball haben sie nicht neu erfunden, aber zu mindestens Systemumstellungen während des Spiels beherrschen beide aus dem Effeff. Ein weiteres interessantes Spiel könnte Wolfsburg gegen München werden. Denn sollte Wolfsburg verlieren, müssten sie mit hoher Wahrscheinlichkeit ihren dritten Platz an die Frankfurter abgeben. Die spielen wiederum in Gladbach. Kein Selbstläufer, aber die Büffelherde trabt wieder…..das sagt alles!


Ein anderer großer Stratege auf und neben dem Platz war zweifelsohne Johan Cruijff (anglisiert: Cruyff). Schon als Spieler war Cruijff ein herausragender Akteur und ebenso damals hauptverantwortlich für eine innovative Spielweise. Er war nämlich das Herzstück des „totaal voetbal“ der großen Ajax-Mannschaft der 70er und der beeindruckenden niederländischen Nationalmannschaft bei der WM 1974. Für viele war Cruijff der erste und letzte Erbe Alfredo Di Stefanos. Ein totaler Fußballer, im wahrsten Sinne des Wortes.


Cruijff besaß unglaubliche Rhythmuswechsel, physisch wie psychisch. Kaum ein Spieler konnte das Spiel mit einzelnen Aktionen dermaßen stark beeinflussen, wie Cruijff. Und nur wenige konnten das Spiel so konstant beeinflussen. Hinzu kam, dass mit oder unter Cruijff, während seiner Zeit als Spieler und als Trainer, die Spieler wie ein Bienenschwarm ihre Positionen wechselten. Sie verschoben sich auf dem Platz als Gebilde, immer abhängig davon, wo sich der Ball befand. Die Spieler bildeten praktisch geometrische Figuren. Ein Journalist der Times bezeichnete Cruyff deshalb auch einmal als den "Pythagoras des Fußballs".


Johan Cruijff aber einzig allein auf seine strategischen Fähigkeiten zu reduzieren, wäre zu kurz gesprungen. Er hatte so viel Erfolg und es gibt so viele Geschichten über ihn, dass man ihn in dieser Fußballserie bei einer ganzen Reihe von „Wortverbindungen“ hätte aufführen können. Eine der besten Anekdoten über ihn stammt aus seiner letzten aktiven Saison bei Feyenood Rotterdam:

“Among the Feyenoord players, he quickly wins a reputation for thinking he knows everything. To trick him, the Feyenoord players ask him for the definitions of several difficult words. Full of his usual confidence, Cruyff explains one meaning after another. The players pretend to be impressed. In reality, they have prepared a trap. The final word has a catch. It doesn’t exist. Still, Cruyff proceeds to explain it. lnitially the players laugh, telling him he got fooled. But Cruyff continues to insist. Feyenoord player Bennie Wijnstekers describes the scene: “Cruijff kept explaining the word with so much confidence that we started to doubt ourselves. Maybe that word existed after all?”


Wer mehr wissen will über den großen Cruijff/Cruyff oder aktuell ein Geschenk sucht:

Euch ein smartes und selbstbewusstes Wochenende


Euer fußballtaktischer Blindfisch

Er war mehr als ein Spieler!