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Runde Ecke - Ausgabe #58

Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Liebe Elfmeterkiller,

Realität in den Fußballstadien oder doch nur eine Erzählung von Peter Handke? Zumindest muss der Torwart seit ca. 10 Jahren ein bisschen weniger Angst haben – das haben Sportpsychologen 2010 wissenschaftlich nachgewiesen. Ihre Empfehlung an den Mann im Tor: Stell Dich auf eine Seite des Tores, biete dem Schützen eine Ecke an, und Du hältst fast jeden Schuss … zumindest deutlich mehr als vorher, wie die Sportpsychologen Professor Matthias Weigelt (Universität Saarbrücken) und Professor Daniel Memmert (Deutsche Sporthochschule Köln) herausfanden. Sie überprüften in ihrer Studie „Einfluss bewusster und unbewusster Hinweise auf Fußball-Experten und Fußball-Novizen“, inwiefern sich Gesten und die Position des Torwarts auf der Torlinie auf den Elfmeterschützen auswirken. 81 Probanden, 41 Fußball-Experten und 40 Fußball-Novizen, traten jeweils 54-mal zum Elfmeter an und wurden dabei mit unterschiedlichen Ausgangspositionen und Verhaltensweisen des Torhüters konfrontiert.

Die Ergebnisse sind erstaunlich. Schon eine kleine vom Schützen nicht bewusst wahrgenommene Verschiebung (ca. 10 cm) des Torwarts nach links oder rechts bewirkt, dass Fußball-Anfänger in 3 von 4 Fällen (75%) genau in die vermeintlich offen angebotene Ecke zielen. Bei Könnern ist dieser Effekt mit 4 von 5 Fällen (80%) sogar noch deutlicher. Verstärkt wird dieses Verhalten, wenn der Torwart mit der Hand noch zusätzlich in die entsprechende Ecke zeigt. Auch das „Wandern“ des Torhüters nach rechts oder links veranlasst den Schützen zur gleichen Reaktion – selbst wenn sich die Torhüterposition dadurch nur um 3% verändert und somit vom Schützen überhaupt nicht bewusst wahrgenommen wird.

Der größte Elfmeterkiller der vergangen zwei Dekaden ist der weniger bekannte Brasilianer Diego Alves. Er spielte beim FC Valencia und bei DU Almeria in der höchsten spanischen Liga. In 10 Jahren Primera Division kann der Torwart mit italienischem Pass ein Quote von 48,9 Prozent gehaltener Elfmeter aufweisen. Alves hat seit seiner ersten Saison in Spanien im Jahr 2007 ganze 45 Elfmeter auf seinen Kasten bekommen. Unglaubliche 22 davon konnte er parieren. Das ist einsamer Rekord in der Primera Division.

Und mit dem Alter wurde Alves sogar noch besser. Bei den letzten 15 Versuchen scheiterten neun der Spieler, die gegen den Elferkiller antreten mussten. Ob Lionel Messi, Cristiano Ronaldo oder Antoine Griezmann: Für alle war Alves bereits Endstation. Seine Technik ist dabei ganz einfach. El Periodico beschreibt sie als "Netz der Ablenkung". Alves nähert sich seinen Gegenspielern, redet ihnen zu und lenkt sie dadurch ab. Diese "psychologische Kriegsführung" erwischte neben Griezmann auch Madrids Kapitän Gabi, der zuvor in der Liga noch nie vom Punkt gescheitert war. "Dieser Mann ist unglaublich", lobte Valencias Kapitän Dani Parejo seinen Keeper daher immer wieder.

Und mit dem Alter wurde Alves sogar noch erfolgreicher. Nach seinem Wechsel zurück in die Heimat konnte er im Jahr 2019 im guten Torwartalter von 34 Jahren mit Flamengo Rio de Janeiro die brasilianische Meisterschaft und auch den Copa Libertadores gewinnen. In allen Wettbewerben in dieser Saison hielt er dabei herausragend. Es gelang ihm in der Zeit ganze 7 Elfmeter abzuwehren. Ein echter Elfmeterkiller!

Elfmeter zu halten von CR7 ist schon fast ein Kunststück – aber nicht für Diego Alves

Die Angst des Schützen beim Elfmeter

Kein erfolgreicher Elfmeterkiller war Mainz Torwart Robin Zentner im Spiel gegen Dortmund. Wie auch, wenn sein Gegenüber Erling Haaland hieß. Dieser legt wahrscheinlich keinerlei Angst und damit Nervosität an den Tag bei einer solchen Aufgabe. Hinzu kam sogar noch das nötige Quäntchen Glück. Zentner war zwar am Ball, aber ein Geschoß, mit einer Geschwindigkeit von 109 km/h, zu halten ist schier aussichtslos. Kein Geschoß, aber ein recht schmeichelhafter Elfmeter verhalf den Leipzigern zu Führung in neuem Europa-Park-Stadion in Freiburg. Christopher Nkunku hatte aus dem Kontakt mit Philipp Lienhart alles herausgeholt was möglich war und somit Emil Forsberg die Möglichkeit verschafft souverän einzuschieben. Geholfen hat es am Ende nichts, den Freiburg konnte noch verdient ausgleichen. Bayern dagegen brauchte keinen Elfmeter, um Leverkusen abzuschießen. Mit Hacke, Oberschenkel sowie Links- und Rechtsschuß war die Bayerelf schnell zerlegt. Köln ging es gegen Hoffenheim kaum besser. In knapp 40 Minuten 4 Tore eingeschenkt zu bekommen, ist wie 4 Kölsch in 2 Minuten zu exen.

Rein Garnichts zu lachen und auch zu exen gab es gleich für einige unser Tipper. Ein schwieriger Spieltag mit einigen unerwarteten Ergebnissen führte zu manchem Dämpfer. Dadurch ging das Gesamte Mittelfeld in fast geschlossener Formation eine Reihe nach hinten. Alles nur wegen Siggi! Nach entsprechender Kampfansage (siehe Fußballwähler) ist er mit 15 Punkten in die vorderen Reihen aufgestiegen. Das nenne ich mal selbsterfüllende Prophezeiung. Bei dem aktuellen Selbstbewusstsein würde er bestimmt jeden Elfmeter versenken. Da wollte Jonas, wahrscheinlich auch kein schlechter Elfmeterschütze, nicht nachstehen. Zweimal komplett richtig das Spielergebnis vorausgesagt und schon ist er auf Platz 2 angekommen.

Blasebalg mit Druckluftkammer – Ein Stürmer beim „Ablassen“ der Luft

Die Angst des Trainers vor der nächsten Niederlage

Die Rheinischen Nachbarn Köln und Leverkusen kassierten vergangenes Wochenende auf einen Streich 10 Gegentore. Nun können sie direkt im nächsten Duell untereinander ausmachen, wer mehr Tore schießen denn kassieren kann. Die Kölner Arena in Müngersdorf, auch RheinEnergieSTADION genannt, wird dann höchstwahrscheinlich ein Schauplatz weiterer unsanfter Landungen. Für eine der beiden Mannschaften ist sicherlich der aktuelle Höhenflug vorbei und es wird auf Sinkflug umgestellt. Und im Angesicht einer solchen Tatsache würde manch Trainer in den totalen Defensivmodus übergehen. Sicherlich zu beobachten bei den Partien Leipzig gegen Fürth oder auch bei Bielefeld gegen Dortmund. Die fußballerische Armut, die beide Bundesligakellerkindern an den Tag legen, kann nur über den Kampf ausgeglichen werden. Da hilft einem gutem Trainer auch nicht, dass er eigentlich einst ein passabler Elfmeterschütze war (wie im Fall von Stefan Leitl bei Greuther Fürth). Die Null sollte so lange wie möglich stehen und ein jeglicher Elfmeter vermieden werden.

Euch ein elfmeter- und flugfreies Wochenende

Euer Claudio Taffarel

Weltmeister und Bester Torhüter der höchsten Liga Brasiliens 1987, aber nur 10 gehaltene Elfmeter während seiner ganzen Karriere