Runde Ecke - Ausgabe #72
Ausgestorben: Freier Mann – Libero – Sweeper – Ausputzer
Liebe Fußballausputzer,
im Fußball ist der freie Mann, oder auch italienisch Libero, ein Verteidigungsspieler ohne direkten Gegenspieler. Er spielt zur Absicherung hinter einem Vorstopper (im 4-3-3- oder 3-4-3-System der 1970er) bzw. zwei zentralen Manndeckern (im 3-5-2 oder 5-3-2 der 1990er Jahre) sowie zwei Außenverteidigern. Aufgrund des fehlenden direkten Gegenspielers kann er sich auch in das Angriffsspiel einschalten. Historisch gesehen hat sich die Position aus der des Mittelläufers entwickelt. Gut sichtbar wird dies durch die Rückennummern: Traditionell trug ein Libero bis in die 1990er Jahre hinein die Nr. 5, welche in der Nummerierung der Spieler des WM-Systems dem Mittelläufer zugeordnet war. Die englische Entsprechung des Liberos ist im Übrigen der Sweeper, deutsch ungefähr „Ausputzer“, eine Bezeichnung, die in den 1960er Jahren auch in Deutschland für den zunächst rein defensiven Libero verwendet wurde.
Der italienische Fußballprofi Franco Baresi war in den späten 1980er und 1990er Jahren einer der besten, wenn nicht der weltbeste Libero. In seiner Heimat wurde er auch "Verteidigungsminister Italiens" genannt, was insofern nur bedingt passte, weil es vor allem die offensiv ausgerichtete Spielweise des langjährigen AC-Milan-Profis war, die ihn auszeichnete und ihm Vergleiche mit Deutschlands Fußball-Idol Franz Beckenbauer einbrachte. Auch das passte nur bedingt, denn zum einen unterschied sich der wortkarge Italiener im Wesen ganz und gar vom extrovertierten "Kaiser", zudem hatte Baresi stets den Niederländer Ruud Krol und nicht Beckenbauer als Vorbild genannt.
Mit den "Rossoneri", für die er fast zwanzig Jahre spielte, wurde Baresi sechsmal italienischer Meister und gewann dreimal die Champions League bzw. den Europapokal der Landesmeister. Nachdem Franco Baresi 1997 seine langjährige Profikarriere beendete, wurde das Trikot mit der legendären Nummer 6 (hier nicht die 5) des Weltklasse-Liberos wegen seiner Verdienste und Treue nicht mehr vergeben.
Baresis leidvollster Tag in seiner Karriere war wiederum das WM-Finale 1994. Im zweiten Gruppenspiel verdrehte Baresi sich bei einer Rettungstat das rechte Knie. In der Nacht konnte er vor Schmerzen nicht schlafen und ließ sich ins Krankenhaus bringen. Um fünf Uhr morgens wurden ihm Teile des Meniskus entfernt. „Ich werde nicht nach Hause fliegen“, sagte er. „Ich will bei der Mannschaft bleiben.“
Maldini übernahm die Kapitänsbinde von Baresi und führte Italien bis ins Finale gegen Brasilien. Doch vor diesem Spiel plagten den Nationaltrainer Sacchi viele Sorgen: Die Verteidiger Alessandro Costacurta und Mauro Tassotti waren beide gesperrt. Wer konnte helfen? Als die zwei Mannschaften zum Finale auf den Rasen kamen, trauten die Zuschauer ihren Augen nicht: Die Italiener wurden angeführt von Baresi, der noch vor 23 Tagen auf einem OP-Tisch gelegen hatte.
Italiens Libero war auch gleich wieder der beste Mann auf dem Platz. Wie der englische Journalist Sheridan Bird Jahre später schrieb: „Er war ein alternder König unter lauter jungen Prinzen. Los Angeles wurde Zeuge einer Lehrstunde dieser verschrumpelten Legende, die hinten alles zusammenhielt und im Mittelfeld Regie führte. Erst als Baresi kurz vor dem Ende einen Krampf bekam, wurden die Menschen daran erinnert, dass dieser Titan, dem wie immer das Hemd aus der Hose hing, ein Mensch aus Fleisch und Blut war.“ Am Ende verlor Italien im Elfmeterschießen, auch weil Baresi über das Tor schoss.
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Verteidigungsminister
Einen Verteidigungsminister oder besser Ausputzer in den hinteren Reihen könnten so einige Mannschaften in dieser Saison gut gebrauchen. Da fallen einem gleich die Bayern, die Dortmunder (gegen Glasgow unter der Woche), die Frankfurter, aber auch die Stuttgarter oder die Augsburger ein. Hätte Arrigo Sacchi nicht sein auf Pressing beruhenden Fußballstil eingeführt, würde man vielleicht heute noch ohne Abseitsfalle und damit mit Libero spielen. Eine Überlegung wäre es wert! In Stuttgart hätte sicherlich ein Sweeper hilfreich sein können um Konstantinos Mavropanos von seiner ungeschickte Grätsche, die zum Elfmeter führte, per Kommando abzuhalten. Der Ausputzer wäre ja noch hinter ihm gestanden. Damit brachte sich der gute VfB um die Frucht seiner Arbeit. Ähnliches gilt für den FCA. Nach 3 Minuten schon den ersten Gegentreffer einzufangen, verdirbt jegliche Stimmung im Stadion. Es fehlte ein Mann zwischen den beiden Innenverteidigern, dann wäre Petersen sicherlich nicht so frei zum Kopfball gekommen. Und selbst Fürth ging in München in Führung. Das Schlusslicht schoss gegen den Tabellenführer das erste Tor und Julian Nagelsmann musste seine Abwehr zum wiederholten Male während des Spiels umorganisieren. Stabilität sieht anders aus.
Stabil verhielt sich auch nicht unser Tabellenbrett. Jonas musste dieses Wochenende Federn lassen und begab sich auf eine Talfahrt Richtung Platz 4. Ausnutzen konnte diesen Sinkflug André. Mit nur noch einem Punkt Rückstand (trotz verschlafenen Freitagsspiel) schloss er die Runde ab und machte den Titelkampf wieder zu einem völlig offen Rennen. In dieses könnte sogar noch heuer tatsächlich unser badischer Tippchampion 2022 eingreifen. Der eingefleischte VfB-Anhänger macht im Tipp vor, was sein Lieblingsklub noch lernen muss. Alles in allem sind dieses Jahr schon phänomenale 87 Punkte auf seinem Konto gelandet, was fast 40 % (um genau zu sein 36%) seiner Tippausbeute in dieser Saison darstellt. Verfolgt er dabei weiter seinen „nicht“ vorhandenen Plan, ist selbst Lars ein Wackelkandidat. Grundsätzlich gilt, mit dieser sog. Vorwärtsverteidigung sammelte er heuer schon 42% mehr Punkte ein als seine Kumpels JoschkaF oder Karlsruhe. Ist Schnäppchen etwa der angehender Kaiser unter all den Tippkönigen?
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Vorwärtsverteidigung
Wie oben erwähnt, hatte Sacchi diese Idee mit dem Pressingsystem. Um dies seiner damaligen Mannschaft zu verklickern, ordnete er ein Trainingsspiel an, bei dem die eine Mannschaft nur aus dem Torwart und der Viererkette davor bestand, während das andere Team doppelt so viele Spieler hatte. Es gewann (immer wieder) die Mannschaft mit den 5 Abwehrspielern. Ganz nach der Fußballweisheit: Der Sturm gewinnt (schon Mal) ein Spiel, die Abwehr gewinnt die Meisterschaft.
Gleiches sollten am kommenden Wochenende die Augsburger, Bielefelder, Stuttgarter und Berliner berücksichtigen. Nicht um die Meisterschaft zu gewinnen, aber um gegen starke Gegner nicht unterzugehen und im Klassenkampf zu „überleben“. Gegen Dortmund, Leverkusen, Hoffenheim und Freiburg geht es gegen die Plätze 2 + 3 sowie 5 + 6 in der Tabelle. Besonders die Stuttgarter müssen in Hoffenheim auf der Hut sein. Denn genau gegen diese haben die drei anderen Clubs schon verloren diese Saison. Hertha und Augsburg sogar doppelt, also zweimal. Mut machen sollte den lädierten Schwaben, dass sie das Hinspiel deutlich mit 4:1 gewonnen hatten. Bochum dagegen, vor der Saison als einer der heißesten Abstiegskandidaten gehandelt, empfängt die Nr. 4 in der Tabelle. Vielleicht gelingt ihnen ja gegen Leipzig wieder so ein Pressing-Moment wie gegen die Bayern.
Bei eben diesen Bochumern spielte auch einst einer der heute noch das Aussterben des Liberos bedauert. Sein Name Matthias „Mattes“ Herget. Er galt in den 80igern als Deutschlands Libero Nummer eins und Nachfolger Beckenbauers, wurde aber von diesem als Teamchef nicht wirklich geschätzt. Wie bei Baresi, war der Gelsenkirchener eher introvertiert und drängte sich ungern in den Vordergrund. Sein Markenzeichen war der Steilpass auf dem Platz, nicht die verbale Steilvorlage! Wahrscheinlich nicht immer nach dem Geschmack des kontaktfreudigen Kaisers.
Euch ein ausgeputztes und befreites Wochenende
Euer Matthias Herget
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